Kindernothilfe Österreich. Kindern Zukunft schenken.

Philippinen: Wenn Kinder Babys bekommen

Die Zahl von schwangeren Kindern und Jugendlichen auf den Philippinen ist besorgniserregend hoch. Sex wird gesellschaftlich tabuisiert, Verhütungsmittel sind nur schwer zugänglich. Einmal schwanger, bekommen Mädchen und junge Frauen kaum Unterstützung. Abtreibungen sind verboten und sogar strafbar, viele Betroffene bringen ihre Babys zu Hause zur Welt – ohne einen Arzt oder eine Hebamme, dafür unter lebensbedrohlichen Bedingungen. Der Kindernothilfepartner MAG unterstützt Schwangere durch medizinische Hilfen und Beratungsangebote, engagiert sich für ein Umdenken in der Gesellschaft und leistet Aufklärungsarbeit.

Schwerfällig geht Rose in die Hocke. In der Plastikschüssel zu ihren Füßen wäscht sie vor der Hütte ihrer Eltern die Kleidung der ganzen Familie. Zu zehnt leben sie hier. Jeder, der alt genug ist, muss im Haushalt mit anpacken. Von Tag zu Tag wird es für Rose anstrengender zu waschen, zu kochen und nachts auf dem harten Steinboden der Hütte zu schlafen. Denn Betten gibt es hier nicht. Sie lächelt, fast so schüchtern wie das kleine Mädchen, das sich hinter ihrem Rücken versteckt. Ihr Bauch sei in den vergangenen Wochen ganz schön gewachsen und mache allmählich jede Bewegung zu einer Herausforderung, sagt Rose entschuldigend. In etwas mehr als einem Monat soll das Baby kommen. Zum zweiten Mal wird sie dann Mutter – mit 18 Jahren.

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Ein schwangeres Mädchen steht in einer Türöffnung (Quelle: KNH/Jakob Studnar)
Rose lebt mit ihrer zehnköpfigen Familie in einer kleinen Hütte auf der philippinischen Insel Leyte. In wenigen Wochen erwartet die 18-Jährige ihr zweites Baby. (Foto: Jakob Studnar)
Ein schwangeres Mädchen steht in einer Türöffnung (Quelle: KNH/Jakob Studnar)
Rose lebt mit ihrer zehnköpfigen Familie in einer kleinen Hütte auf der philippinischen Insel Leyte. In wenigen Wochen erwartet die 18-Jährige ihr zweites Baby. (Foto: Jakob Studnar)
Während die Geburtenrate bei Jugendlichen in vielen Ländern weltweit zurückgeht, ist sie in Roses Heimat gleichbleibend hoch. Auf den Philippinen wird die „alarmierende Zahl von Schwangerschaften bei Teenagern“ inzwischen als „dringende nationale Priorität“ betrachtet, sagt Edeliza Hernandez. Sie leitet das Projekt des Kindernothilfe-Partners Medical Action Group (MAG), das sich auf der Insel Leyte im Zentrum der Philippinen für bessere Lebensbedingungen und eine Gesundheitsversorgung schwangerer Mädchen und Frauen einsetzt und wichtige Aufklärungsarbeit leistet.
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Täglich werden fast 500 Babys von Müttern zwischen zehn und 19 Jahren geboren

Warum das dringend notwendig ist, verdeutlichen Statistiken der Kommission für Bevölkerung und Entwicklung (POPCOM) des Landes: Im Jahr 2019 brachten danach auf den Philippinen Mädchen und junge Frauen zwischen zehn und 19 Jahren knapp 500 Kinder zur Welt – pro Tag. Dabei steige die Zahl der Babys, die von extrem jungen Müttern zwischen zehn und 14 Jahren geboren werden, besorgniserregend, betont Edeliza Hernandez. Die meisten kommen aus sehr armen, kinderreichen Familien, gehen nicht zur Schule oder brechen den Schulbesuch während der Schwangerschaft ab. Die POPCOM rechnet damit, dass Anfang 2024 mehr als 133 000 Familien landesweit von minderjährigen Müttern und Vätern durchgebracht werden müssen. Viele dieser jungen Eltern haben keinen Schulabschluss, keinen Job und kein regelmäßiges Einkommen.

Unter dem gesellschaftlichen Problem leiden besonders Frauen – und es könnte das Land künftig in eine tiefe Krise stürzen: Denn 20 Prozent der Filipinos gehören zur Altersgruppe der Zehn - bis 19-Jährigen. Die Nationale Behörde für Wirtschaft und Entwicklung (NEDA) schätzt, dass gerade sehr junge Frauen durch frühe Schwangerschaften hohe Einkommensverluste erleiden – in Summe 24 bis 42 Milliarden Pesos, das sind umgerechnet knapp 392 bis 685 Millionen Euro. Sie werden wirtschaftlich abgehängt, die meisten bleiben in der Armutsspirale.


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Ein schwangeres Mädchen steht in einer Hütte und spült (Quelle: Jakob Studnar)
Auch hochschwanger muss Rose zu Hause mit anpacken und ihre Mutter bei der Hausarbeit unterstützen (Foto: Jakob Studnar)
Ein schwangeres Mädchen steht in einer Hütte und spült (Quelle: Jakob Studnar)
Auch hochschwanger muss Rose zu Hause mit anpacken und ihre Mutter bei der Hausarbeit unterstützen (Foto: Jakob Studnar)

„Wir haben jetzt schon mehrere tausend Pesos Schulden“

Auch Rose kommt aus ärmsten Verhältnissen. Mit ihrer dreijährigen Tochter, sechs Geschwistern und den Eltern lebt sie in einer winzigen Hütte, direkt an der einzigen von Bananenstauden gesäumten Straße in der Provinz Guiuan, etwa eine Autostunde von Tacloban entfernt. Die Hauptstadt der Insel wurde 2013 komplett von Taifun Hayan zerstört. Zehn Jahre später sind die meisten Gebäude dort wieder aufgebaut – die seelischen Wunden der Überlebenden nach der tödlichen Katastrophe sind unsichtbar. Sie heilen deutlich langsamer. Viele Menschen haben Familienmitglieder, ihr Zuhause, den Job verloren.

Auch Roses Vater hatte nach Taifun Hayan Schwierigkeiten, wieder Arbeit zu finden. Dann kam die Coronapandemie, der nationale Lockdown und mit ihm erneut die Arbeitslosigkeit. Heute betreibt er ein kleines Reisfeld in der Nähe ihrer Hütte, doch die letzten Ernten waren schlecht. „Meine Eltern haben mehr Geld investiert, als sie bisher verdient haben. Die Ausgaben sind größer als unser Einkommen“, erzählt die 18-Jährige besorgt.

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Eine Frau hält ein Mädchen inm Arm, ein anderes Mädchen steht im Türeingang dahinter (Quelle: Jakob Studnar)
Joy Dacutanan macht sich große Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder. Hier hält sie ihre jüngste Tochter und ihre Enkelin im Arm – die beiden kleinen Mädchen trennt nur ein Jahr. (Foto: Jakob Studnar)
Eine Frau hält ein Mädchen inm Arm, ein anderes Mädchen steht im Türeingang dahinter (Quelle: Jakob Studnar)
Joy Dacutanan macht sich große Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder. Hier hält sie ihre jüngste Tochter und ihre Enkelin im Arm – die beiden kleinen Mädchen trennt nur ein Jahr. (Foto: Jakob Studnar)

Der Vater ihrer Kinder hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser – doch damit verdient er schon jetzt nicht genug, um die kleine Familie zu ernähren. „Momentan arbeitet mein Freund als Bauarbeiter in Palo, einer kleinen Stadt in der Nähe von Tacloban. Die Fahrt dorthin dauert zwei Stunden mit dem Rad, er kommt deshalb nur an den Wochenenden nach Hause.“ Ohne die Unterstützung ihrer Eltern könnte Rose ihre dreijährige Tochter nicht durchbringen. „Wenn mein Freund gerade keinen Job hat, dann streiten wir uns ständig über Geld“, erzählt sie. „Wir haben jetzt schon mehrere tausend Pesos Schulden.“

Früher träumte Rose davon, Lehrerin zu werden. Dann wird sie schwanger. Mit 14. Sie bricht die Schule ab , seitdem hilft sie ihrer Mutter im Haushalt und kümmert sich um ihre kleinen Geschwister. Ihre jüngste Schwester ist vier – ein Jahr älter als Roses eigene Tochter. „Ich wünschte, ich könnte noch zur Schule gehen, aber ich hatte keine andere Wahl“, sagt die 18-Jährige.

Sie habe sich damals große Sorgen um ihre Tochter gemacht, erzählt Roses Mutter Joy Dacutanan. „Ständig war sie bei ihrem Freund, ich hatte kaum Einfluss auf das, was sie tat. Dann war sie plötzlich schwanger – wie sollte sie da ihre Ausbildung fortsetzen? Ich wusste, dass eine schwierige Zeit auf uns zukommt“, sagt die 42-Jährige. „Bei meinen jüngeren Töchtern will ich es besser machen. Sie sollen ihren Schulabschluss und danach eine Ausbildung machen, damit sie einmal einen guten Job finden.“


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Eine Mutter sitzt auf dem Boden und umarmt ihre kleine Tochter, die vor ihr steht (Quelle: Jakob Studnar)
Ihr erstes Kind hat Rose mit 15 Jahren bekommen. Damals habe sie sich keine Gedanken über die Konsequenzen gemacht, erzählt sie. (Foto: Jakob Studnar)
Eine Mutter sitzt auf dem Boden und umarmt ihre kleine Tochter, die vor ihr steht (Quelle: Jakob Studnar)
Ihr erstes Kind hat Rose mit 15 Jahren bekommen. Damals habe sie sich keine Gedanken über die Konsequenzen gemacht, erzählt sie. (Foto: Jakob Studnar)

Wer abtreibt, macht sich strafbar

Wie die erste Schwangerschaft sei auch die zweite nicht geplant gewesen, sagt Rose. „Beim ersten Mal habe ich mir keine Gedanken gemacht und mich einfach nur darüber gefreut, dass wir ein Kind bekommen. Ich liebe meinen Partner. Doch jetzt mache ich mir ständig Sorgen um unsere Zukunft.“ Darüber, wie sie zwei Kinder großziehen sollen – finanziell und emotional. „Wir sind selbst noch so jung und haben nicht mal einen Schulabschluss.“ Wenn das zweite Baby auf der Welt ist, will sie nach Manila gehen, um dort als Haushaltshilfe etwas zum Familieneinkommen beizutragen. Der Gedanke, ihre Kinder mehrere Flugstunden bei ihren Eltern zurückzulassen fällt der 18-Jährigen sichtlich schwer. Sie drückt ihre kleine Tochter fest an sich, die ihr auch beim Wäschewaschen nicht von der Seite weicht.

„Als ich erfahren habe, dass ich wieder schwanger bin, habe ich darüber nachgedacht, das Kind wegmachen zu lassen. Aber mein Partner wollte das nicht“, erzählt Rose. Hinzu kommt: Abtreibungen sind auf den Philippinen verboten. Wer sie durchführt, macht sich strafbar – und das sogar, wenn das Leben der Frau durch die Schwangerschaft bedroht ist oder sie durch eine Vergewaltigung schwanger wurde. „Deswegen führen Hebammen die Abtreibungen illegal zu Hause durch – unter Lebensgefahr für die schwangeren Frauen“, sagt Edeliza Hernandez. Doch auch Verhütungsmittel wie die Pille sind in dem christlich geprägten Land mit einer größtenteils sehr gläubigen Bevölkerung erst seit ein paar Jahren gesetzlich erlaubt. Die katholische Kirche nimmt massiv Einfluss auf die Gesetzgebung, indem sie Verhütungsmittel als eine „Mode“ bezeichnet.

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Eine Frau erklärt einer anderen Frau etwas, die ihr gegenüber sitzt (Quelle: Jakob Studnar)
Julie-Ann Taganna besucht auch Rose regelmäßig, um sie über wichtige Beratungsangebote für Schwangere zu informieren (Foto: Jakob Studnar)
Eine Frau erklärt einer anderen Frau etwas, die ihr gegenüber sitzt (Quelle: Jakob Studnar)
Julie-Ann Taganna besucht auch Rose regelmäßig, um sie über wichtige Beratungsangebote für Schwangere zu informieren (Foto: Jakob Studnar)

Sex sei auf den Philippinen stigmatisiert, Sex vor der Ehe tabu, sagt Edeliza Hernandez. „Man spricht nicht darüber.“ Aufklärung gibt es daher kaum – weder in der Familie in der Schule. Das hat mitunter tödliche Folgen: Immer wieder sterben schwangere Teenager durch eine illegale Abtreibung zu Hause, oder weil es zu anderen gesundheitlichen Komplikationen kommt. Denn: „Jede Teenagerschwangerschaft ist eine Risikoschwangerschaft“, betont Julie-Ann Taganna.

Die 42-Jährige klärt in der Gemeinde Guiuan ehrenamtlich junge werdende Mütter wie Rose und ihre Familien über mögliche Gefahren wie Geschlechtskrankheiten und Frühgeburten auf und informiert über Hilfsangebote. „Wir schicken sie in unser örtliches Gesundheitszentrum. Dort werden sie während der Schwangerschaft medizinisch betreut und lernen, sich gesund zu ernähren. Eisenmangel ist ein Problem unter Teenagermüttern, deswegen kommen viele Babys mit Untergewicht zur Welt.“ Außerdem sensibilisieren Ehrenamtliche wie Julie-Ann Taganna die Familien dafür, dass junge Frauen wie Rose ihre Kinder im Krankenhaus und nicht aus Scham zu Hause, ohne medizinische Hilfe zur Welt bringen. „Ich habe mein erstes Kind mit 22 ohne Hilfe und ganz alleine bekommen“, erinnert sich die 42-Jährige. „Aufklärung und Beratungsangebote hätten mir damals sicher sehr geholfen.“

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Projekterfolg: Die Zahl der Teenagerschwangerschaften hat sich halbiert

Als das Projekt im Jahr 2015 in der Provinz Guiuan startete, zählte das örtliche Gesundheitszentrum 156 Teenagerschwangerschaften. In 2021 waren es noch 74. Ein Erfolg, den Edeliza Hernandez besonders der Sensibilisierung durch Gleichaltrige in Aufklärungskampagnen zuschreibt. Dabei setzt der Projektpartner auf eine Kerngruppe aus jungen Menschen, die selbst Erfahrungen mit frühen Schwangerschaften und Verhütung einschließlich Familienplanung haben und diese in Schulen und Jugendzentren teilen.

So wie Mila Rose Darang. Die 23-jährige Studentin ist mit zwölf Geschwistern aufgewachsen. Ihre Mutter bekam das erste Kind mit 18. Und auch ihre Schwester wurde „viel zu früh schwanger“, sagt Mila Rose Darang. „Es ist eine Herausforderung, eine so große Familie zu haben, weil wir finanziell nicht stabil sind. Es gibt Tage, an denen meine Eltern nicht genug Geld hatten, um uns allen etwas zu essen zu kaufen“, erinnert sie sich. Mila Rose Darang will ein anderes Leben. Durch Zufall nimmt sie an einer Aktion des Kindernothilfepartners zum Internationalen Jugendtag teil. „Das hat mir so großen Spaß gemacht, dass ich dabeigeblieben bin.“

Und nicht nur das: Sie kämpft sich in der Schule durch und studiert später Kommunikation. Dabei hatte sie es alles andere als leicht. „Meine Eltern glauben nicht, dass man damit Geld verdienen kann.“ Ihren Weg geht die 23-Jährige trotzdem unbeirrt. Und der führt sie zurück in die Jugendarbeit. Seit mehr als einem Jahr trainiert Mila Rose Darang im Projekt junge Menschen für die Aufklärungsarbeit über Frühschwangerschaften, Drogen- und Alkoholkonsum, organisiert und leitet selbst lokale Informationskampagnen. Sie sagt: „Ich liebe, was ich tue. Und ich will etwas im System ändern, um für Kinder und Jugendliche bessere Möglichkeiten für die Zukunft zu schaffen.“

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Autor: Christiane Dase, Kindernothilfe-Redakteurin
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